Dawid R. Wiktorski

Texte zur Ausstellung in Breslau (Wroclaw · Polen) 2019
Übersetzung Ulrike Bischhof

Vier Städte
Können der Geburtsort ähnlich der Zeit, in der man geboren wurde, wie auch die Orte, an denen man wichtige Jahre verbracht hat, das Leben eines Menschen beeinflussen? Es ist nicht unsere Entscheidung, wo und wann wir geboren werden und doch hängt so viel in unserem Leben davon ab. Und stehen nicht künstlerische Werke, von Herz und Hand geschaffen, unter dem besonderen Einfluss von Ort und Zeit unseres Lebens?
Łódź, Warschau, Wien und Dresden sind die vier Städte, die im Leben der Künstlerin Małgorzata Chodakowska Gewicht haben.
Die erste Stadt ist der Geburtsort. In jenen Zeiten war Łódź keine Traumstadt, die Piotrowska-Straße wartete darauf, aus dem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Als Jugendlicher sieht man die Wirklichkeit jedoch mit anderen Augen und freut sich vor allem des Lebens, besonders wenn man den Wunsch, Schönes zu schaffen, im Blut hat. Dieses Streben bewirkte, dass Małgorzata in Łódź das Gymnasium für bildende Künste absolvierte. Mitte der 80er Jahre zog sie nach Warschau zum Studium, in die Stadt, die als Zeichen der Hoffnung aus Trümmern wieder aufgebaut worden war. Drei Jahre studierte sie an der Akademie für Schöne Künste bei Prof. Jan Kucz. Auf der Suche nach der Entdeckung des Schönen ließ sie sich nicht aufhalten und wechselte in eine Stadt, die wie kaum eine andere mit Kunst und wunderbarem Tanz assoziiert wird. Wien war die Stadt, in der Małgorzata ihre künstlerische Ausbildung bei Prof. Bruno Gironcoli mit Auszeichnung abschloss.
Damit der Leser ein vollständiges Bild über den Lebenslauf erhält, darf Malgorzatas Liebe zu den Bergen nicht unerwähnt bleiben, konkret zur Tatra, die sie durchwanderte und sich an der Schönheit der Natur erfreute und dabei der Liebe ihres Lebens begegnete, die sie in die vierte genannte Stadt führte, nach Dresden.
An dieser Stelle können wir zu den eingangs gestellten Fragen zurückkehren, um das Phänomen des künstlerischen Schaffens unserer Künstlerin zu begreifen. Die Kindheit in Łódź begründete mit Sicherheit den Wunsch, sich auf die Suche nach dem Schönen zu begeben. Die Jugend in Warschau provozierte, nach Hoffnung zu suchen und Unbesiegbarkeit im Angesicht der Trends der Gegenwartskunst, die im Schockierenden die Rechtfertigung für die Unfähigkeit sucht, das Schöne des Menschen zu zeigen. Wien offenbarte reife Schönheit und gab den Anreiz, Tradition mit einer Spur Modernität zu verbinden. Wien ist auch der Grund, weshalb viele Skulpturen, insbesondere die Brunnenfiguren, tanzen.
Alle Orte haben Małgorzatas Kunst beeinflusst, haben in Herz und Seele eigene und unverwechselbare Spuren hinterlassen, zu denen die Künstlerin selbst ihr Streben und ihr Talent hinzufügte.
Auf der Suche nach Inspirationen und Grundlagen des eigenen Schaffens besuchte Małgorzata viele Orte in Europa und in der Welt, an denen man mit der Kunst verschiedener Kulturen und Zeiten in Zwiesprache treten kann. So erinnert sie sich selbst an ihre Reisen:
Im ersten Studienjahr fuhr ich nach Köln und sah da im Museum des Erzbistums eine mittelalterliche Jesusfigur aus Holz. Dabei handelt es sich leider nur um ein Fragment des Gekreuzigten, das eine unglaubliche Synthese des Leidens ausstrahlt. In Florenz habe ich, was natürlich verboten ist, die Pietà von Michelangelo berührt, damit sich unsere Energien vereinen. Andalusien und das Vermächtnis der Mauren. Die Alhambra ist wunderbar wie auch die Flamenco tanzenden Spanierinnen. Louvre und Ermitage – wir Künstler können uns diesen Werken eigentlich nur auf Knien nähern. Als ich in Luxor in Ägypten war, war ich so überwältigt, dass ich weinen musste, ich weiß selbst nicht weshalb. In Kambodscha besichtige ich den Tempel Bayon und halte ihn für das schönste Bauwerk der Welt. Birma und die buddhistische Kunst – als Zeichen der Ehrerbietung wird die Buddha-Statue mit Goldblättchen belegt, so dass über die Jahrhunderte eine immer dickere Schicht entsteht, die die Konturen der Statue verschwinden lässt; und eine abstrakte Skulptur entsteht. Indien und die Tempel in Maduraj mit Millionen bunter Götter und dazu die hübschen Inderinnen in märchenhaft schönen Saris. China – eine der ältesten Kulturen fasziniert bis heute mit Finesse, Kalligraphie und Porzellan, Gärten und Architektur. A propos Gärten – Tivoli bei Rom mit tausenden Brunnen und Wasserkaskaden ist ein wunderbarer inspirierender Ort. Japan – bereits als Studentin war ich von der Zen-Kunst beeindruckt. Als ich vor Ort war, entdeckte ich die Kunst aus der Epoche Kamakura. Ein Bildhauer der Gegenwartskunst hat mich fasziniert: Katsura Funakoshi, der seine hölzernen Skulpturen mit bemalten Augen aus Marmor verziert. Seine Werke strahlen eine unglaubliche Stimmung aus. In der Aufzählung darf natürlich nicht der Altar „Maria Himmelfahrt“ von Veit Stoß aus der Marienkirche in Krakau fehlen. Diese Kirche besuche ich gern, wenn ich nach Zakopane fahre.
Beim Blick in den Sternenhimmel an einem Sommerabend in der Nähe von Dresden, am Rande des Weinbergs, wo sie lebt und arbeitet, kam die Künstlerin zu dem Schluss, dass die größte Schönheit in der Harmonie des menschlichen Körpers liegt. Deshalb strahlen ihre Skulpturen, für die Balletttänzerinnen und -tänzer aus Dresden Modell stehen, wahrhafte Schönheit aus.
Ist denn der von der Technik und vom Netz voller Informationen umgebene Mensch überhaupt noch imstande, die Zeichen der Natur zu deuten? Zeichen, die in der Schönheit verborgen sind, die sich allein dadurch schützt, dass sie existiert?
So wie unser Herz vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang berührt wird, vom Anblick der Sterne oder Bäumen vor blauem Himmel, so sprechen auch die Skulpturen von Małgorzata Chodakowska unser Herz an.

SPRINGBRUNNEN
Hast du den Regen gesehen, wenn er von der Sonne angestrahlt wird? Oder dem Glucksen und Rauschen eines Bergbachs gelauscht? Hast du gestaunt, wie sich der Sonnenschein auf seiner lebhaften Oberfläche spiegelt und auf den Blättern und Nadeln der Bäume am Bachrand tanzt? Wenn dich diese Bilder ansprechen, wirst du die Schönheit der Springbrunnen von Malgorzata Chodakowska verstehen, denen das Wasser Vollendung schenkt so wie der Frühtau Edelsteine auf Gräsern und Blumen ausstreut. Wenn schon die Skulpturen an sich schön sind, so macht sie die geniale Verbindung mit dem Wasser zu einzigartigen Springbrunnen. So, wie wir uns unsere Welt nicht ohne Seen, Flüsse und Bäche vorstellen können, so kann sich keiner, der die Sprungbrunnen von Małgorzata Chodakowska einmal gesehen hat, vorstellen, dass das aus ihnen sprudelnde Wasser versiegt. Aus Wasser sind das Röckchen der Balletttänzerin und der Fächer der Spanierin. Es verleiht dem Engel Flügel, webt eine Fahne zart wie einen Regenbogen in die Luft oder vergießt sich als Saite der Liebeslieder spielenden Harfe. Es fließt dahin wie die Tränen, die um die vergossen werden, die uns verließen. Oder es fließt aus den Händen der Geliebten in die Hände des Geliebten wie die Liebe, aus der Glück entsteht, direkt von Herz zu Herz. Diese Aussagekraft, diese Symbolik aber auch die Einfachheit der Schwester Wasser, wie sie der Heilige Franziskus nennt, sprechen Menschen auf der ganzen Welt an. Deshalb tanzen die Springbrunnen von Malgorzata Chodakowska in Europa, in China und werden bald in Vietnam ihren Reigen beginnen. Wo auch immer auf der Welt, niemandem sind diese tiefen Gefühle fremd. Es reicht, wenn du das Leben ein klein wenig liebst, dass der Funke sofort überspringt und das Kind in dir erweckt, das im Springbrunnens planschen und sich im Wasser erfrischen will. Wasch den Staub von dir ab, mit dem dich das Erwachsensein mit seinem Ernst bedeckt hat… Lächle, denn die Welt ist so schön!

SKULPTUREN
Es ist der Künstler, der mit seinem Herz und seiner Seele ein Kunstwerk zu etwas Außergewöhnlichem macht.
Im Werk selbst wird das Unsichtbare für andere sichtbar: des Künstlers reiche Welt an inneren Erfahrungen, Gefühlen, Leidenschaften und Lebenserfahrungen. Daraus entsteht der Unterschied zwischen einer von der Künstlerhand gefertigten Skulptur im Vergleich zu Massenware.
Diesen Unterschied spürt jeder, der die Skulptur auch nur betrachtet. Das geschieht ausführlich und von allen Seiten, schon deshalb sind die künstlerischen Anforderungen sehr hoch. Jeder kleinste Mangel würde sofort sichtbar, so wie der geschulte Hörer in einem Musikstück jede falsche Note heraushören kann.
Woher nehmen Chodakowskas Skulpturen ihre Strahlkraft? Woher kommen Grazie und Finesse bei der Darstellung der meist weiblichen Gestalt, die sie gern zärtlich Mädchen nennt? Woher die Leichtigkeit der Bewegung und der milde Blick? Kein Betrachter bezweifelt wohl, dass die Skulpturen schauen und fühlen können, aber nur für einen Augenblick vor unserem Auge erstarrt sind. Sobald der letzte Besucher die Ausstellung verlassen hat und sich die Türen schließen, kehren sie zu ihrer Beschäftigung zurück – dem unterbrochenen Tanz, dem Kuss, dem Gespräch, die sie wegen der Besucher eingestellt hatten. Ist es ihre polnische Seele (der viel beschworene „Polin Reiz“) oder ihre Liebe zu den Bergen, die bewirkt, dass sich die Skulpturen auf die Zehenspitzen erheben und beinah in die Höhe schweben. Oder ist es der Genius loci ihrer sächsischen Heimat mit den sanften Weinbergen? Oder die Liebe zum Ballett und zu Tänzerinnen, die ihre Körper durch ihr Training zur Idealform vollendet haben.
Alle diese Fragen muss man bejahen, und trotzdem fehlt noch ein Element. Wir könnten uns an der Schönheit nicht berauschen, käme nicht als verbindendes Element das Talent der Künstlerin hinzu. Es gelangte über die Jahre unter den Augen der Besten in Warschau und Wien zur Reife. Ohne diesen Funken Genialität gäbe es nichts zu Bewundern und zu Loben.
Wenn dein Herz berührt wird, wenn die idealen Proportionen des Kunstwerkes dich begeistern, wenn du darüber nachdenkst, wie man unbelebter Materie Leben einhauchen kann, dann hat das Kunstwerk seinen Zweck erfüllt. Was wäre das für eine Kunst, die einen Menschen nicht innerlich berührt?
Die Skulpturen von Chodakowska können Herzen berühren – ob in Europa oder in Asien, unabhängig vom Kulturkreis. Warum? Weil sie schön sind. Ihre Frauen sind nicht vordergründig verführerisch, nur ein klein wenig und das nicht wegen ihrer Nacktheit. Sie verkörpern die Wünsche der weiblichen Seele, ihre Sehnsucht nach Glück und Liebe, dem wichtigsten Gut zu jeder Zeit und an jedem Ort der Welt.

Dawid R. Wiktorski